Wenn Menschen verstorben sind, kommen auf die Angehörigen viele Aufgaben zu: Die Bestattung organisieren, Versicherungen kontaktieren, Erbschaften klären u.a.m. In den ersten Tagen und Wochen sind viele Trauernde mit Organisationsaufgaben beschäftigt, die erstmal vergessen lassen, dass noch andere „Aufgaben“ anstehen.
Der amerikanische Arzt und Trauerforscher William Worden spricht in diesem Zusammenhang von insgesamt vier Aufgaben während eines Trauerprozesses. Der 90-Jährige beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit der Frage: Welchen Herausforderungen müssen sich Trauernde stellen, um gut mit dem Verlust eines geliebten Menschen umgehen zu können? In seinem Standardwerk „Beratung und Therapie in Trauerfällen“ definiert er vier „Hausaufgaben“ wie folgt:
- Aufgabe: Den Verlust begreifen und als Realität akzeptieren
- Aufgabe: Den Schmerz durchleben und verarbeiten
- Aufgabe: Sich der Welt öffnen und bewusst Weiter-Leben
- Aufgabe: Der/dem Toten einen neuen Platz im Leben zuweisen
Das Begreifen (Aufgabe 1) ist nicht nur eine kognitive Leistung. Begreifen heißt für Trauernde, dass er oder sie auch emotional erfassen muss, dass der/die Tote nicht wiederkommt. Für viele Hinterbliebene ist es hilfreich, den/die Verstorbenen zu sehen. Ob dies möglich ist, hängt natürlich auch von den Todesumständen ab. Das Begreifen und das Reden über den Verlust ist jedoch die erste wichtige Herausforderung für Trauernde.
Nur in der emotionalen Verarbeitung des Verlustes (Aufgabe 2) kann der Boden gelegt werden für ein bewusstes Weiter-Leben (Aufgabe 3). Für Hinterbliebene ist es nicht einfach, mit den verschiedenen, oft widerstreitenden Gefühlen zurecht zu kommen und sie im Alltag zu integrieren. Zumal auch die Außenwelt nach einer gewissen Zeit erwartet, dass die Trauer ein Ende haben muss. Bei der Bewältigung von Aufgabe 2 können Selbsthilfe- und Trauergruppen eine große Hilfe sein. Eine Teilnehmerin meines Trauercoachings nutzte beispielsweise als Ergänzung zu den Treffen mit mir die Telefonseelsorge.
Die Aufgabe Nr. 3 (Weiterleben) kann häufig erst dann angepackt werden, wenn der Verlust des geliebten Menschen in einem gewissen Zeitrahmen verarbeitet wurde. Das kann das berühmte „Trauerjahr“ sein, sich allerdings auch über einen längeren Zeitraum erstrecken. Das eigene Leben wieder bewusst gestalten, kann sich beispielsweise darin zeigen, dass man den (ehemals gemeinsamen) Wohnraum verändert und individuell gestaltet. Manche Menschen wechseln auch den Wohnort, suchen sich einen neuen Freundes- und Wirkungskreis oder entdecken ein neues Hobby.
Die Realität des Todes anzuerkennen bedeutet jedoch nicht, die geliebte Person zu vergessen. Die vierte Aufgabe ist laut Worden durchaus anspruchsvoll. Denn nun geht es darum, dass die Verstorbenen im besten Falle einen würdigen Platz im Leben der Hinterbliebenen behalten. Fotos und weitere Erinnerungsstücke sind dabei ein wichtiges Symbol, die übrigens durchaus im Laufe der Zeit eine Veränderung erleben können, so werden z.B. Bilder ausgetauscht oder bekommen einen neuen Platz in der Wohnung. Auch wenn Außenstehende dies als Banalität abtun: Für Trauernde sind es wichtige, kleine Schritte um zu ihrem neuen Leben „ja“ zu sagen und gleichzeitig die „alte Liebe“ nicht zu vergessen. Trauern ist stets auch eine integrative Aufgabe!
Trauern mit und ohne Hilfe
In einem Interview mit der österreichischen Zeitung „Standard“ vom 7. August 2016 betont William Worden, dass nicht jeder Mensch Hilfe braucht, wenn er trauert. Viele kommen mit Unterstützung durch Familienangehörige und Freunde gut durch schwierige Zeiten. Bei komplizierten Trauerfällen sieht es jedoch anders aus. Wichtig erscheint ihm daher, dass es entsprechende therapeutische Hilfsangebote gibt, damit Hinterbliebene in ihrer Trauer nicht alleine gelassen werden. In den USA nutzen ca. 10-15% aller Trauernden externe Unterstützung. In Europa dürften die Zahlen ähnlich sein, vielleicht sogar noch in den nächsten Jahren deutlich nach oben klettern. So haben beispielsweise die zahlreichen Toten der Corona-Pandemie deren Angehörige vor besondere Herausforderungen gestellt. Sicherlich wurden und werden aufgrund dieser Erfahrung verstärkt (therapeutische) Angebote genutzt.
Sollten Sie sich fragen, was genau der Unterschied zwischen „normaler“ und „komplizierter“ Trauer ist, so verweise ich gerne auf meine nächsten Blogeinträge.