Die Magie des Zuhörens

Weghören

Wahrscheinlich kennen Sie folgende Situation: Ein Freund beklagt sich häufig über seinen Job, der Chef ist unfähig, zwei Kollegen mobben und er hat immer das Nachsehen, wenn es um den nächsten Karriereschritt geht. Sie hören nur mit „halbem“ Ohr zu. Sie nicken zwar, doch eigentlich sind Sie gar nicht richtig bei der Sache, weil Sie die Geschichte schon viele, viele Male gehört haben.

Hinhören

Sie bemerken, wie sich drei Personen heftig streiten. Sie schreien sich an und beschimpfen sich gegenseitig. Sie als Nichtbeteiligter hören genau hin, weil Sie neugierig sind, wie sich die verbale Auseinandersetzung weiterentwickelt. Anderes Beispiel: Sie gehen morgens eine Runde joggen und plötzlich vernehmen Sie die Vogelstimmen im Park. Sie bleiben stehen, hören genau hin und versuchen herauszufinden, welches Gezwitscher Sie welchem Vöglein zuordnen können.

Zuhören

Ein Paar diskutiert über ihre unterschiedlichen Sichtweisen hinsichtlich Kindererziehung. Beide werden weder laut noch unterbrechen sie sich. Jeder und jede redet solange er/sie möchte. Die andere Person hört aufmerksam zu. Gemeinsam finden wir nach einigen Gesprächen eine Lösung. Oder: Ein Schüler hat massiven Ärger mit einem Mitschüler. Die Situation eskaliert. Prügel auf dem Schulhof sind die Folge. Der Vertrauenslehrer und die Rektorin setzen sich mit den beiden Streithähnen zusammen. Sie stellen Fragen und hören zu. Und zwei Tage später gibt es ein weiteres Gespräch zu viert. Ob der Konflikt bereinigt werden kann? Zuhören ist auf alle Fälle ein mächtiges Instrument der De-Eskalation und des gegenseitigen Verständnisses.

Zuhören wie Momo

Bewertungsfreies Zuhören ist das Anliegen des gemeinnützigen Vereins „Momo hört zu“. Der Vereinsname orientiert sich bewusst an Michael Endes Erzählung „Momo“ aus dem Jahre 1974. Das Mädchen Momo konnte so gut zuhören, dass viele sich nach dem Besuch bei ihr wohl und verstanden fühlten. Die Zuhörerinnen und Zuhörer (zu denen ich übrigens auch gehöre), die sich bei „Momo hört zu“ engagieren, stellen ihre Zeit und ihre Ohren zur Verfügung – und zwar für alle, die etwas loswerden möchten: Das können ernste, traurige und schöne Lebensgeschichten sein. Ohne Terminvereinbarung, anonym in einem Raum aus Holz, wird Zeit verschenkt und einfach „nur“ zugehört ohne Ratschläge zu geben. Ein niederschwelliges Angebot, das gerne und oft genutzt wird.

Zuhören im Trauercoaching

Es gibt viele Situationen, in denen es gut ist, wenn eine Person mehr zuhört als selbst zu sprechen. Im Trauercoaching ist dies der Fall. Wenn Kopf und Herz voller Traurigkeit sind, braucht es Menschen, die einfach nur „da sind“. Irgendwann wird der Redefluss schwächer, viele Tränen wurden vielleicht vergossen und die Betroffenen sind ruhiger geworden. Irgendwann kann dann das Treffen beendet werden, mit oder ohne eine stumme Umarmung. Und im nächsten Trauercoaching entstehen vielleicht Ideen, wie man aus dem Trauertal herauskommen kann. Vielleicht braucht es dazu noch einige Wochen oder Monate, doch irgendwann ist es soweit…

In meinen Trauercoachings geht es um Hilfestellungen, um konkrete Antworten auf verschiedene Fragen, z.B. Was tue ich, wenn ich vor lauter Kummer nicht schlafen kann? Darf ich meine beste Freundin abweisen und mich verkriechen, weil ich ständig am Weinen bin? Ist es normal, dass ich mich so schnell wieder neu verlieben konnte, obwohl mein Partner erst vor 6 Monaten verstorben ist? Wie in jedem seriösen Coaching-Prozess, geht es darum, die Lösungskompetenz der Betroffenen zu aktivieren (Hilfe zur Selbsthilfe).

Unvoreingenommenes Zuhören ist während des Coachings sehr, sehr wichtig. Wichtig ist es jedoch auch, verbal auf die trauernde Person einzugehen. Trauercoaching lebt vom Gespräch; es ist kein Monolog. Trauernde sind häufig in einem Ausnahmezustand. Sie vermissen die Verstorbenen, sie haben oft Schuldgefühle, sie sind wütend und verzweifelt oder erleichtert und zuversichtlich und durchleben viele, teilweise sich widersprechende Gefühle. Konkrete Schritte aus dem Trauertal gemeinsam mit den Betroffenen zu entwickeln, ist das, was ich als Trauerbegleiterin und Trauercoach anbiete. So individuell wie möglich und so lange wie nötig.

Drei Zuhör-Anmerkungen zum Abschluss

  • Zuhören ersetzt keine Gesprächstherapie und ist dafür auch nicht gedacht! Zuhören kann jedoch heilsam und wirksam sein.
  • Zuhören gilt häufig als „Kommunikations-Technik“; es ist jedoch primär eine Haltung, die von Respekt, Empathie und Aufmerksamkeit geprägt ist.
  • Zuhören entfaltet eine wunderbare Magie, die man einfach erleben muss, da sie letztendlich nicht erklärbar ist.

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