Normal oder kompliziert? Trauerarten im Überblick

In meinen Blogbeiträgen wird von verschiedenen Trauerarten die Rede sein. Hier eine kleine Orientierungshilfe im Begriffsdschungel…

Normale Trauer

Trauern ist so individuell wie ein Fingerabdruck. Insofern ist die Frage berechtigt, was eigentlich das „Normale“ im Trauerprozess sein soll, wenn es doch sehr unterschiedlich sein kann. Nun, eine Normalität zeigt sich beispielsweise darin, dass sich die Intensität des Trauerns im Lauf der Zeit verändert. Nach 1-3 Jahren haben viele Trauernde wieder Mut gefasst. Die Unterstützung von Verwandten, Freunden oder Bekannten ist vielfach vorhanden. Insgesamt blickt man mit mehr Zuversicht in die Zukunft und setzt neue Impulse für das weitere Leben, indem man z.B. in eine andere Wohnung zieht oder neue Hobbies entdeckt. Im besten Falle hat man den Verlust des geliebten Menschen zu akzeptieren gelernt. Die Trauer verschwindet nicht, doch ihre Intensität verändert sich.

Anerkannte Trauer

Früher durfte bzw. musste man die eigene Trauer öffentlich zeigen: Man trug über lange Zeit schwarze Kleidung, Jahresmessen wurden gelesen. Von Witwen wurde erwartet, dass sie nicht mehr heiraten und für den Rest ihres Lebens alleine bleiben. Jede Kultur und jede Religion gab und gibt unterschiedliche Antworten darauf, wie sich Trauernde verhalten sollen. Auch wenn heutzutage weniger streng und verbissen auf traditionelle Trauerzeremonien und Rituale geachtet wird, so entstehen neue Zwänge. Ein Beispiel: In unserem schnelllebigen und leistungsorientierten 21. Jahrhundert ist die Erwartung groß, dass Trauernde rasch wieder „funktionieren“ – sei es im Beruf oder in der Familie. Es ist nicht vorgesehen, dass jemand lange Zeit intensiv trauert. Spätestens nach einigen Monaten oder nach einem Jahr sollte man die persönliche Trauer in Griff bekommen haben. Wenn nicht, dann sind wir nicht „normal“ und vielleicht sogar ein Fall von „komplizierter Trauer“?

Aberkannte Trauer

Es gibt sie häufiger als vermutet: Eine sozial NICHT anerkannte Trauer. Wenn jemand traurig ist und wir erfahren im Gespräch, dass es sich bei dem Verstorbenen um den geschiedenen Ehemann handelt, fallen häufig Bemerkungen wie: „Naja, das ist zwar schade, doch ihr seid ja bereits seit vielen Jahren getrennt!“ Oder wir trauern um eine Schulfreundin, mit der wir viele Jahre eine intensive Freundschaft pflegten, die jedoch in unserer jetzigen Lebensphase keine Rolle (mehr) spielt. Die Todesnachricht setzt uns stärker zu als erwartet. In solchen Fällen zeigt unser Umfeld in der Regel wenig Verständnis, da ja offensichtlich keine enge Beziehung (mehr) besteht. Trauer- und Trostwürdig scheinen wohl nur die Verstorbenen zu sein, mit denen wir aktuell eng verbunden sind.

Vorgreifende Trauer

Stellen Sie sich vor, Sie erfahren, dass Ihr Partner oder Ihre Partnerin bald sterben werden. Nur noch wenigen Monate, so die Prognose. Nach dem ersten Schock stellen sich viele Fragen: Was muss noch besprochen werden? Wie kann ich bis zuletzt für meinen Lieblingsmenschen „da“ sein? Darf ich meine eigene Traurigkeit zeigen? Sich auf den Tod einzustellen, ist stets ein Balanceakt zwischen Angst und Hoffnung, Mut und Verzweiflung. Dennoch kann das Reden über das nahe Ende und die Klärung letzter Wünsche hilfreich sein, um den Trauerprozess gedanklich etwas vorwegzunehmen.

Komplizierte Trauer

Wenn Trauern nicht enden will, wenn Trauern in Depression mündet, wenn Trauern mit intensiven Suizidgedanken verknüpft wird, ist offensichtlich, dass Trauer auch krank machen kann. Wohlgemerkt: Trauern an sich ist keine Krankheit, sondern eine natürliche Antwort auf Schmerz und Verlust. Wer jedoch einen Trauerprozess nicht abschließen kann, sollte therapeutische Hilfe in Anspruch nehmen. Man schätzt, dass ca. 4% der Trauernden davon betroffen sind – so die Angabe des Bundesamts für Statistik aus dem Jahre 2017. Komplizierte Trauer ist kompliziert und es braucht Geduld und langer Atem, um wieder Lebensmut zu fassen. Also keine falsche Scham: Suchen Sie sich professionelle Hilfe in Zeiten tiefer, nicht enden-wollender Trauer.

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