Die Kulturgeschichte des Trauerns bringt manchmal Erstaunliches hervor. So waren beispielsweise Zitronen (manchmal auch Orangen und Pomeranzen) seit dem Mittelalter bis ins 19. Jahrhundert vor allem in gehobenen Kreisen ein wichtiger Gebrauchsgegenstand während des Begräbnisses. Leichenträger trugen sie sichtbar in der Hand und auch manche Mitglieder der Trauergemeinde führten sie mit sich. Einige Überlieferungen machen deutlich, dass vor allem Zunftbrüder ihren verstorbenen Kollegen oder Altmeister dadurch verabschiedeten, indem sie die Zitrusfrucht ins Grab warfen und den Toten mit einem Spruch verabschiedeten. Zitronen hatten während der Beerdigungszeremonie zwei klare Vorteile: Sie waren gut zu transportieren, lagen gut in der Hand (Haptik) und wirkten desinfizierend (Hygiene).
Heutzutage erinnern vor allem alte Grafiken und Radierungen an dieses „saure Trauerritual“. Hin und wieder gibt es jedoch auch in der Neuzeit das Bestreben, die Zitrone als Trauersymbol wieder aufleben zu lassen. So geschehen vor einigen Jahren in Gütersloh. Etwa 30 Bauhandwerker (Rolandsbrüder) gaben auf dem Sennefriedhof einem Kameraden ein letztes „saures Geleit“. Als die Urne in die Erde eingelassen wurde, trat einer nach dem anderen ans Grab, drückte eine Zitrone aus und sprach Sätze wie „So sauer wie diese Zitrone, so sauer war auch dein Leben. Tschüss Kamerad, auf dieser Welt gibt es für uns kein Wiedersehen!“ (Neue Westfälische Zeitung, Kreis Gütersloh vom 09.03.2019)
Übrigens: Auch in Asien hatte und hat die Zitrone immer noch eine wichtige Bedeutung. Etwa 800 Jahre vor Christus wurde die Frucht in den heiligen Schriften in Sanskrit erwähnt und galt als Symbol des Reichtums. Als Geschenk zum chinesischen Neujahrsfest verkörpert die gelbe Frucht den Wunsch für ein langes, gesundes Leben.
Nun stellt sich zu guter Letzt die Frage: Warum sind Zitronen eigentlich sauer? Eine Antwort liefert das folgende (verkürzte) Gedicht:
Einst sprachen die Zitronen,
Wir woll’n so gross sein wie Melonen;
Auch finden wir das Gelb abscheulich,
Wir wollen rot sein oder bläulich.»
Gott hörte oben die Beschwerden
und sagte: «Daraus kann nichts werden!
Ihr müsst so bleiben, ich bedauer’»;
Da wurden die Zitronen sauer.
Der Komiker Heinz Erhardt, aus dessen Feder diese Zeilen stammen – und den ich übrigens in diesem Blogartikel erwähnt habe – wusste also ganz genau, warum Zitronen so schmackhaft sind.