Ein Prozess ist ein Vorgang innerhalb einer gewissen Zeit, bei dem etwas entsteht oder abläuft. Jeder Prozess hat einen Anfang und ein Ende, dazwischen gibt es verschiedene Phasen und Abschnitte. Auf das Thema Trauer bezogen, können wir also fragen: Gibt es Trauerphasen und wann beginnt und endet die Trauer?
In diesem Zusammenhang möchte ich zunächst Faktoren hervorheben, die in jedem Trauerprozess von Bedeutung sind. Dazu gehören Todesursachen, Vorbereitung auf den Tod und die Beziehung zu dem verstorbenen Menschen.
Wichtige Faktoren in einem Trauerprozess
Die Todesursache
Die jeweilige Todesursache prägt den individuellen Trauerprozesses enorm. „Plötzlich aus dem Leben gerissen“ oder „Völlig überraschend verstarb“, so ist in manchen Traueranzeigen zu lesen. Es gibt ihn leider häufiger als gedacht: Den plötzlichen Tod durch Autounfall, durch Herzinfarkt. Auch der plötzliche Kindstod ist schwer zu begreifen. Erschütternd sind für viele Angehörige auch Situationen, in denen sie mit dem Freitod von Familienmitgliedern konfrontiert werden. Dem gegenüber steht der schleichende Tod, zum Beispiel durch eine Krebserkrankung, auf den man sich (teilweise) vorbereiten kann.
Die Vorbereitung auf den Tod
Jede Kultur pflegt ihren eigenen Umgang mit Sterbenden und Verstorbenen. Sich innerlich auf den Tod eines geliebten Menschen einzustellen, ist schwer, solange er oder sie noch existiert. Manchmal gelingt es, die Trauer etwas vorwegzunehmen und sich Gedanken über das Leben „danach“ zu machen: „Wer kann mich unterstützen, wenn…“ oder „Wie schaffe ich es, dass…“. Auch wenn der nahe Tod und der Trauerprozess nie exakt planbar sind, so kann dieses „Fragen-Gedankenspiel“ schon eine erste Vorbereitung sein.
Die Beziehung zu dem/der Verstorbenen
Der Tod ist stets auch das Ende einer zwischenmenschlichen Beziehung, einer Beziehung, die etwas Einmaliges war. Wenn betagte Eltern sterben, kann das Gefühl der Erleichterung bei den erwachsenen Kindern überwiegen und der Trauerprozess kurz und weniger schmerzhaft sein. Wenn der zehnjährige Sohn von einem Auto überfahren wird, steht die Welt still. Die Verbundenheit mit dem toten Kind kann eine lange Trauerzeit für die Hinterbliebenen bedeuten.
Die beiden „grandes dames“ der Trauer: Elisabeth Kübler-Ross und Verena Kast
Die genannten Kriterien haben großen Einfluss auf die Art und Weise, wie wir trauern und wie lange wir trauern. Die „Phasen-Modelle“ von Elisabeth Kübler-Ross und Verena Kast, auf die ich nun näher eingehe, können daher als eine Möglichkeit gesehen werden, die Dynamik eines Trauerprozesses zu beschreiben und einzuordnen.
Wer waren bzw. sind die beiden „grandes dames“? Dr. Elisabeth Kübler-Ross war Medizinerin, die Gespräche mit Sterbenden führte; Prof. Dr. Verena Kast ist eine bekannte Psychotherapeutin, die 1982 zum Thema „Die Bedeutung der Trauern im therapeutischen Prozess“ habilitierte. Beide haben mit ihren Veröffentlichungen zum Verstehen des Phänomens „Tod und Trauer“ weltweit beigetragen.
Die fünf Trauerphasen nach Elisabeth Kübler-Ross
Elisabeth Kübler-Ross hatte ihr Stufenmodell, das sie Ende der 1960er-Jahre entwickelte, ursprünglich nur auf Sterbende angewandt und erst zu einem späteren Zeitpunkt auf den Trauerprozess übertragen.
Verdrängung – so tituliert Kübler-Ross die Einstiegsphase. Der Schock sitzt tief. Kopfschütteln und Unverständnis: „Das kann nicht sein!“ Der Tod ist einfach unfassbar. Für Reflexion ist (noch) kein Platz.
Wut, aber auch Schuldgefühle tauchen bald danach auf. Die zweite Phase ist daher oft geprägt durch Fragen wie: Hätte der Tod verhindert oder zeitlich hinausgezögert werden können? Habe ich etwas falsch gemacht? Warum ist mein Partner gestorben, obwohl er so tapfer gegen die Krankheit gekämpft hat?
Die dritte Stufe nennt Kübler-Ross „Verhandlung“: Was würde man nicht alles geben, um noch das eine oder andere mit dem/der Verstorbenen zu klären! Man hätte gerne noch so vieles gesagt oder gemeinsam unternommen! Im Zwiegespräch mit dem/der Verstorbenen versucht man Antworten zu finden.
Die Verzweiflung über verpasste Chancen ist groß. Dieses Gefühl ist eng mit der Phase drei verknüpft bzw. folgt ihr unmittelbar und wird daher von Kübler-Ross als vierte Stufe tituliert. Das Pendeln zwischen Verhandlung und Verzweiflung nimmt einen großen Anteil im Trauerprozess ein.
Die fünfte Etappe, die Akzeptanz, zeigt uns, dass wir in der „Realität“ angekommen sind. Der Tod, der Verlust des geliebten Menschen wird akzeptiert, so schwer es auch fällt. Es ist offensichtlich, dass er oder sie nicht wiederkommt.
Die vier Trauerphasen nach Verena Kast
Aus fünf wird vier, so könnte man etwas salopp die Veränderung des „Trauerphasen-Modells“ der Psychotherapeutin Kast beschreiben. Auch ihr geht es um Orientierungshilfen während des Trauerprozesses.
Die erste Stufe ist geprägt vom Nicht-Wahrhaben-Wollen. Der Verlust ist mental (noch) nicht begreifbar. Die trauernde Person fühlt oft nichts und/oder ist in einem Schockzustand. Einige Stunden oder Tage, manchmal auch einige Wochen kann dieser Zustand dauern.
Die Phase der aufbrechenden Emotionen, die dann folgt, ist eine Gefühls-Achterbahn von Wut, Angst, Schmerz, Niedergeschlagenheit und vielem mehr. Die individuellen Stimmungen kippen leicht um, was dazu führt, dass andere viel Geduld und Fingerspitzengefühl im Umgang mit dem/der Trauernden benötigen. Zuhören und einfach nur „da sein“ ist in dieser Phase sehr, sehr wichtig.
Das Suchen und das Sich-Trennen ist die dritte Etappe im Trauerprozess. Man sucht Orte auf, die der/die Verstorbene mochte, man betrachtet Fotos und führt Gespräche mit anderen, die ihn oder sie kannten. Diese Form des „Suchens“ (Kast nennt sie „Erinnerungsarbeit“) ist auch eine Form der „Trennung“, weil es die Trauernden auf ihr Weiter-Leben einstimmt.
In der Phase des neuen Selbst- und Weltbezugs wird der Tod akzeptiert. Man denkt verstärkt über die Gestaltung des eigenen Lebens nach. Gedanken und Handlungen sind nicht mehr überwiegend auf den/die Verstorbene fokussiert. Die Trauer verschwindet nie ganz, verändert sich jedoch. Auch das gehört zum Weiter-Leben dazu.
„Trauern kann man nicht üben, damit sie schneller vergeht. Der Tod ist eine große emotionale Erschütterung, er braucht einen Prozess, bis wir uns an den Verlust gewöhnt haben“, so Verena Kast in einem Interview mit Zeit online vom 12. Februar 2021.
Ob wir in Phasen trauern – siehe Titelfrage – kann also durchaus mit „ja“ beantwortet werden. Das bedeutet jedoch nicht, dass jeder Trauerabschnitt eine exakte zeitliche Länge hat oder dass jede Etappe sich klar von der jeweils anderen abgrenzt. Dennoch werden die Stufen-Erklärungen in den letzten Jahren zunehmend kritisch gesehen. Die Erkenntnisse über individuelle Trauerverläufe hat dazu geführt, dass die Wissenschaft andere Modelle in den Fokus gestellt. Dazu mehr im nächsten Blogbeitrag.
Literaturhinweise
Elisabeth Kübler-Ross, Interviews mit Sterbenden, Stuttgart 2009 (Neuauflage)
Verena Kast, Trauern: Phasen und Chancen des psychischen Prozesses, Freiburg/Breisgau 2001