Auch wenn ZEIT für die Verstorbenen keinerlei Rolle mehr spielt, so hat selbstverständlich ZEIT für die (noch) Lebenden eine große Bedeutung. Wie lange habe ich noch Zeit, dies und jenes zu tun oder zu erleben? Wie viel Zeit ist mir noch vergönnt, wenn ich schwer erkranke? Wie lange kann ich noch selbstbestimmt und gesund leben? Das sind Fragen, die sich sicherlich viele Menschen stellen. Vor allem, wenn offensichtlich ist, dass uns selbst oder nahen Angehörigen nicht mehr viel Lebenszeit bleibt.
Zeit weilt
Zeit kann für viele Trauernde still stehen. Wie in einer gaaaannnnnnnnnnnzzzz langsamen Zeitlupe erleben sie das Sterben und/oder den plötzlichen Tod eines vertrauten Menschen. „Das kann einfach nicht sein, so habe ich gedacht. Immer und immer wieder habe ich diesen Satz in meinem Kopf abgespult…“ so erzählte mir eine junge Frau, die ihren Partner durch einen Verkehrsunfall verloren hat. „Die Zeit stand still, sie schien wie eingefroren. Es passierte zwar sehr viel im Außen: Die Bestattung, die vielen Gespräche, die vielen Verpflichtungen… doch ich war in einer Blase ohne Zeitgefühl… Es hat sehr lange gedauert bis ich mental und emotional stabiler wurde.“
Zeit eilt
„Die Zeit rast, schon wieder ist ein Jahr bald vorbei und Anja ist schon drei Jahre tot. Ich kann das gar nicht genau in Worte ausdrücken, geschweige, dass ich es verstehe“, sagte mir ein älterer Herr im Trauercoaching. Mag sein, dass mit zunehmendem Alter die Zeit tatsächlich subjektiv als „rasender“ erlebt wird als in jüngeren Jahren. Statt sehnsüchtig auf das Erwachsenenalter 18 Jahre zu schielen und ungeduldig zu warten, dass es endlich soweit ist, stellen viele ältere Menschen fest, dass die Zeit einfach zu schnell vergeht, auch in Hinblick auf das (nahe) Lebensende. Die Jugend und das Älterwerden scheinen auf alle Fälle großen Einfluß auf unser Zeitgefühl zu nehmen.
Zeit teilt
In nachdenklichen Momenten blicken viele auf ihr bisheriges Leben zurück und ordnen es in verschiedene Lebensphasen ein, z.B. die Zeit zwischen 18 und 35 waren geprägt durch meine Jugend und meine ersten Berufserfahrungen. In meinen 40ern standen mir viele Karrierewege offen, doch auch eine schmerzvolle Scheidung war in diesem Zeitabschnitt. Ab Mitte 50 ging es gesundheitlich bergab…
So oder so ähnlich teilen wir unsere Lebenszeit oft rückblickend ein und in der Tat passiert in den jeweiligen Dekaden eine ganze Menge: Geplantes und Ungeplantes, Glück und Pech, Freude und Leid. Vor allem schwierige Lebensphasen (und Trauerzeiten gehören definitiv dazu) können dazu beitragen, dass wir uns von anderen Menschen abwenden, weil wir alleine mit unserem Schmerz sein wollen. Es kann aber auch das Gegenteil eintreffen: Wir suchen und finden Trost und können vielleicht irgendwann auch anderen eine Hilfe sein, wenn diese sich in einer traurigen „Zeitblase“ befinden.
Zeit heilt
Viele Trauernde möchten sich weniger auf die „Heilkraft der Zeit“ verlassen, sie empfinden es eher als tröstlich, in ihrem Schmerz akzeptiert zu werden – und dies ohne Ratschläge. Die bekannte Aussage „Die Zeit heilt alle Wunden“ wird von Hinterbliebenen oft als Sprachfloskel wahrgenommen. Daher rate ich auch dazu, auf derartige Aussagen zu verzichten, wie ich in diesem Beitrag geschrieben habe. Denn Trauern ist und bleibt ein unkalkulierbarer Prozess. Die Zeit heilt also nicht; ihre Vergänglichkeit kann jedoch der Trauer die Schwere nehmen. Zeitliche Abstände führen auch zu mentalen und emotionalen Neuorientierungen. Das eigene Leben geht weiter – und die Erinnerung an die „Perlen“ bleiben.