Trauern in Selbstbeobachtung

Das Nachdenken über Trauern ist nicht neu. Ob im alten oder neuen Testament, in den Schriften des Altertums und des Mittelalters oder in modernen Romanen, Essays oder Gedichten – überall finden sich Texte, die sich mit dem Gefühl von Trauer beschäftigen.

Eine beindruckende Selbstanalyse hat Anfang der 1960er-Jahre Clive Staples Lewis mit „A Grief Observed“ vorgelegt. Lewis (1898-1963) lehrte als Professor für Englische Literatur des Mittelalters und der Renaissance in Cambridge und in Oxford. Die eigene Trauer zu beobachten, war ihm ein wichtiges Anliegen. Er wurde dazu regelrecht innerlich „gezwungen“, wie er schrieb, da er so überwältigt vom Tod seiner Ehefrau war. Seine Ehe mit Helen, die mit 45 Jahren starb, währte nur wenige Jahre.

Kummer und Dankbarkeit

C.S. Lewis´ Abhandlung zählt zu den Klassikern der Trauerliteratur. Selten hat sich jemand so schonungslos beim Trauern beobachtet. Das kleine Buch, 2009 in deutscher Sprache erschienen (C.S. Lewis, Über die Trauer, Insel-Verlag, Frankfurt/Main und Leipzig), ist aus zwei Gründen lesenswert:

  1. Wer sich auf das Gefühlschaos von Lewis einlassen kann, wird auch die eigene Trauer (noch) besser verstehen. Seine Beschreibungen können tröstlich sein für alle, denen Ähnliches widerfahren ist. Ein schonungsloser Einblick in die Trauer eines Menschen bietet das Buch allemal.
  2. Trauernde können durch das Lesen dieses Buches ermuntert werden, die eigenen Gefühle aufzuschreiben. Dazu braucht es keine schriftstellerische Begabung, nur der Versuch, sich seiner Trauer mit Stift und Papier (oder PC/Laptop) zu stellen. Sich schreibend mit der Achterbahn der Gefühle auseinanderzusetzen, ist außerdem eine gute Möglichkeit, „tätig zu sein“.

Hier einige Textauszüge, die das Innenleben des Witwers widerspiegeln:

„Niemand hat mir je gesagt, daß das Gefühl der Trauer so sehr dem Gefühl der Angst gleicht. Ich fürchte mich nicht, aber die Empfindung gleicht der Furcht. Das gleiche Flattern im Magen, die gleiche Unrast. Ich muss die ganze Zeit schlucken. Zu anderen Zeiten habe ich das Gefühl leichter Beklommenheit. Zwischen mir und der Welt steht eine unsichtbare Wand…“ (S. 25)

„Anfänglich hatte ich große Scheu, Orte aufzusuchen, wo H. und ich glücklich gewesen waren…Überraschenderweise tat es keine besondere Wirkung. H.´s Abwesenheit ist an solchen Orten nicht spürbarer als sonstwo…Das ganze Leben ist durch und durch anders. Ihre Abwesenheit ist über alles gebreitet.“ (S. 31)

„Es ist nicht zu glauben, wie glücklich, ja wie fröhlich wir manchmal miteinander waren, nachdem schon keine Hoffnung mehr bestand. Wie lang, wie ruhig, wie stärkend das gemeinsame Gespräch an jenem letzten Abend!“ (S. 32)

Trauern ist für Lewis nicht nur belastend. Emotionen wie Dankbarkeit, dass er eine kurze, doch glückliche Ehe mit Helen führen konnte, sind auch Teil seiner Selbstbeobachtung. Ob sich wohl seine Trauer im Laufe der Zeit verändert hätte? Wir werden es nie erfahren, denn C.S. Lewis folgte seiner Frau zwei Jahre später und verstarb am 22. November 1963. Sein Tod wurde kaum beachtet, weil just zu diesem Zeitpunkt das Attentat auf den amerikanischen Präsidenten John F. Kennedy stattfand. Als Schriftsteller ist er heute fast vergessen, gäbe es nicht seinen Bestseller „Die Chroniken von Narnia“ – und seine Trauerreflexion „A Grief Observed“.

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