Die Liebe der drei Schwestern

Nur das Quietschen von Bremsen war zu hören. Dann viele Stimmen. Der Fahrer des PKW beugte sich über die Frau, die vor seinem Wagen lag. Die Blutlache war schon groß und die Frau hatte die Augen geschlossen. Der Rettungswagen war in wenigen Minuten vor Ort, doch konnte nur noch ihr Tod festgestellt werden.

Mia! Die Schwester der Toten schluchzt und jammert. Immer wieder stimmt sie ein Trauerlied an. Sie wiederholt die Verse laut und klagend, immer und immer wieder. Ihre beiden anderen Schwestern, die sie rechts und links untergehakt haben, reden kein Wort. Sie singen nicht mit. Sie stützen die Trauernde. Die drei Frauen in schwarzer Kleidung wirken wie ein dunkler Monolith am Grab, umringt von weiteren Angehörigen, Freunden und Bekannten der Toten. Es gibt keinen Trost – weder jetzt bei der Bestattung noch an den vielen Tagen, Wochen, Monaten danach.

Mia war die Älteste von vier Kindern. Ihr Vater musste sich von Nachbarn immer wieder anhören, dass er wohl „keine Söhne zustande brächte“. Die Mädchen hatten diese Kommentare gar nicht verstanden, schienen doch die Eltern ganz zufrieden mit ihrem weiblichen Nachwuchs zu sein. Erst in „reiferen Jahren“ wurde ihnen die Bedeutung der verächtlichen Äußerungen bewusst. Das Band zwischen den Geschwistern blieb eng, auch dann, als jede eine eigene Familie hatte. Mia war die Große, die Starke, die Humorvolle, die Verständnisvolle, die Großzügige. Kein Superlativ ist übertrieben. Darin sind sich die drei Schwestern einig.

Mia ist tot. Wenn sich die drei Frauen auf dem Friedhof treffen, bestätigen sie sich gegenseitig immer wieder diese unfassbare Tatsache.

Sie pflegen das Grab wie eine Schatzkammer der Natur: Stets frische Blumen, passend zur jeweiligen Jahreszeit. Der weiße Grabstein aus Marmor wird akribisch geputzt. Mit klarem Wasser ohne Spülmittel. Drei Grablichter leuchten Tag und Nacht. In jeder Leuchte ist ein eingraviertes Herz zu sehen. Drei Herzen für Mia. Love forever.

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