Der Nachruf auf sich selbst

Der Soziologe Harald Welzer hat sich nach einer schweren Erkrankung mit seinem Ableben beschäftigt (H. Welzer, Nachruf auf mich selbst, S. Fischer Verlag, Frankfurt/Main 2021). Wie bei fast jedem Buch provoziert auch diese Veröffentlichung pro und contra Argumente. „Verrisse“ stehen neben Lobeshymnen, sachliche Kritik neben zynischen Bemerkungen. Auf der Bewertungsskala schlecht bis ausgezeichnet ist nahezu alles vertreten.

Nachrufe bereits zu Lebzeiten zu schreiben, ist nicht ungewöhnlich. Ob Politiker, Schauspielerinnen, Musiker oder Nobelpreisträgerinnen – Nachrufe sind ein beliebtes Genre im Journalismus, lassen sie sich doch trefflich vorbereiten. Wenn dann der Tod des „Stars“ eintritt, muss vielleicht die eine oder andere Passage ergänzt werden. Ansonsten ist – im Idealfall – der Text im Vorfeld gereift wie ein guter Wein. Er kann also sofort publiziert werden.

Es lebe der Nachruf!

Offensichtlich ist jedoch ein Nachruf in der Regel nur dann bedeutungsvoll, wenn bekannte Persönlichkeiten verstorben sind. Nachrufe über Otto Normalo oder Lisa Musterfrau werden nicht verfasst. Schade. Denn ein „Durchschnittsmensch“ kann von seinen Mitmenschen durchaus als wertvoll erachtet werden. Daher mein Appell: Nachrufe sind für alle da!

Um einen Nachruf zu schreiben, müssen wir keine Feuilletonisten sein. Wir können uns jederzeit entscheiden, unser Leben revue passieren zu lassen und einen Rückblick auf unser Leben zu verfassen. Wer jetzt erschrocken ausruft: „Das kann ich nicht. Ich kann nicht schreiben, geschweige über mein eigenes Leben referieren“, dem oder der möchte ich gerne folgende Übung vorschlagen:

Stellen Sie sich vor, dass ein professioneller Nachruf in einer überregionalen Zeitung zu Ihrem Ableben veröffentlich wird. Was sollte in einem Nachruf über Sie zu lesen sein? Über welche Lebensstationen würden Sie einer Journalistin, die diesen Nachruf schreibt, Einblicke gewähren?

Machen Sie sich dazu Notizen – egal, ob auf Papier oder digital. Lassen Sie sich Zeit, um in Ruhe darüber nachzudenken. Diese Denk- und „Fingerübung“ ist eine hilfreiche Strategie, sich mit dem eigenen Leben und dem Ableben auseinanderzusetzen. Schreiben Sie Ihren Nachruf. Sie sollten es sich selbst wert sein!

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