Der Feuerberg

Er ging immer gerne in die Berge. Schon als 10-jähriger Bub hatte er mit seinem Vater im Allgäu die ersten größeren Berge bestiegen. Hügel waren es eigentlich, wie er später seiner Frau erklärte. Denn Berge von 1.500 Höhenmeter reizten ihn in späteren Jahren nicht mehr. Zugspitzniveau musste es meistens sein. Da war er schon erfolgreicher Architekt mit eigenem Büro und zehn Mitarbeitenden. Auszeichnungen und entsprechende Aufträge in Deutschland, Spanien, aber auch in den USA und Japan machten ihn zu einem wohlhabenden Mann.

Seine zweite Ehefrau, mit der er ein Kind adoptierte, wusste um seine große Leidenschaft. Und sie wusste auch, dass es immer gefährlich sein konnte, war ihr Albert doch meist alleine unterwegs. Die Berge gaben ihm Kraft. Immer, wenn er nach einer mehrtägigen oder auch wochenlangen Wanderung zurückkam, sprühte er vor Energie und ungewöhnlichen Ideen.

Und nun das: Am Vorabend seines 65. Geburtstages legte er sich schon früh schlafen. Morgen wird ein anstrengender Tag, ich bin gespannt, was sich mein Team ausgedacht hat, um mich zu ehren und mir zu sagen, was für ein toller Chef ich bin, meinte er scherzend als er sich Richtung Schlafzimmer bewegte. Ich schau den Film noch zu Ende und komme gleich nach, sagte Ilse. Und als sie kurze Zeit später ihren Mann leblos im Bett vorfand, schrie sie so laut in den Telefonhörer, dass der Notruf sie sanft bat, ihre Stimme etwas zu dämpfen. Der Notarzt konnte nur noch den Tod feststellen.

Ilse und ihr Adoptivsohn Sven stehen alleine am Grab. Leichenschmaus, Trauerreden, tröstende Worte – das alles war nicht erwünscht. Das Architekturteam sinnierte lange, wie der Grabstein aussehen sollte. Ilse hatte ihnen den Auftrag gegeben, eine Skulptur zu entwerfen, die sie dann bei einem Steinmetz in Auftrag geben wollte. Sie hatte einfach keine Kraft, um sich darüber Gedanken zu machen.

Das Ergebnis war für sie überraschend und berührend zugleich: Ein Stein, groß wie ein Fels, in schiefergrau. Die grobe Struktur vermittelt den Eindruck eines Berges, der Falten wirft. Die glatten, abgeschliffenen Flächen schimmern gelb-rötlich. Ein Kunstwerk!

Und nun steht der „Feuerberg“, wie Ilse und Sven den Grabstein nennen, auf einem Münchner Friedhof und leuchtet in der Sonne.

zurück zur vorherigen Seite